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Ist ein Praxisvertreter ein angestellter Arzt?

Für ärztliche Partner einer Berufsausübungsgemeinschaft drohen Überraschungen, wenn sie sich  im Urlaub oder im Krankheitsfall vertreten lassen.

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) vertritt neuerdings die Auffassung, dass Ärzte, die in einer Berufsausübungsgemeinschaft eine Vertretung übernehmen, Angestellte im Sinne des § 7 SGB IV sind. Damit unterliegen sie der Sozialversicherungspflicht.

Die Auffassung der Deutschen Rentenversicherung

Die DRV vertritt die Auffassung, dass Ärzte in ihren eigentlichen ärztlichen Tätigkeiten keinen Weisungen unterliegen. Daher käme es für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung entscheidend darauf an, inwieweit der Arzt in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist. Diese Eingliederung könne nach ständiger Rechtsprechung des BSG insbesondere bei Diensten höherer Art – wie zweifelsfrei ärztlichen Tätigkeiten – zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess des Arbeitgebers verfeinert sein (BSG vom 29.03.1962 – 3 RK 74/57 sowie vom 29.08.1963 – 3 RK 86/59). Die weiteren Gesellschafter der BAG seinen Arbeitgeber für die Praxisvertretung, sie hätten im vollen Umfang das Unternehmerrisiko getragen. Die Vertretung indes hätte kostenlos die (fremde) Praxiseinrichtung, das zur Verfügung gestellte Material und das Praxispersonal genutzt. Eine Vertretung setze regelmäßig kein eigenes Kapital mit dem Risiko des Verlustes ein und trage insoweit auch kein wesentliches unternehmerisches Risiko. Nach Gesamtwürdigung aller Umstände würden deshalb die Merkmale eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses überwiegen.

Vertreter von Ärzten in Vertragsarztpraxen würden nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BSG vom 27.05.1959 – 3 RK 18/55) nur dann nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zum Praxisinhaber stehen, wenn sie insbesondere nicht dessen Weisungen unterliegen und allein die Verantwortung für die sachgerechte Fortführung der anvertrauten Praxis trügen. Dabei sei die Tätigkeit eines Ärztevertreters nicht schon deshalb als selbstständig anzusehen, weil er über die ärztliche Behandlung frei entscheiden könne. Ein solches Recht könne zum Beispiel auch dem leitenden Arzt einer Krankenhausabteilung, der Angestellter sei, vertraglich eingeräumt sein. Wesentlich sei vielmehr, dass der Vertreter darüber hinaus auch bei der Einteilung und Ausführung aller ihm als Arztvertreter obliegenden Arbeiten grundsätzlich nicht den Weisungen des Praxisinhabers unterworfen sei, sondern die Praxis in eigener Verantwortung führe. Der Arztvertreter nehme für die Dauer seiner Tätigkeit die Stelle des Praxisinhabers ein und erfülle, soweit in der Arztpraxis Arbeitnehmer tätig seien, zeitweilig selbst dessen Arbeitgeberfunktionen.

Unterschied Einzelpraxis - BAG

Die DRV sieht einen maßgeblichen Unterschied zwischen und Einzel- und Gruppenpraxen: Im Gegensatz zur Einzelpraxis könne eine BAG auch bei längerer Abwesenheit eines Praxispartners als Betrieb durch die verbliebenen Gesellschafter und Arbeitgeber fortgeführt und auch die dort erbrachten ärztlichen Leistungen gegenüber der KV weiterhin abgerechnet werden, ohne dass der fehlende Praxispartner als Arbeitgeber „von außen“ ersetzt werden müsse. Übernähmen externe Ärzte die Sprechstunden eines abwesenden Praxispartners, sei dies dann nur im Rahmen einer fremden Betriebsorganisation möglich. Der Vertreter sei insoweit weisungsgebunden in eine fremde Praxisorganisation eingebunden und unterscheide sich in keiner Weise von angestellten Ärzten.

Bewertung der Rechtsauffassung der DRV

Die Auffassung der DRV ist – bei allem Verständnis für die Suche nach neuen Geldquellen – nicht nachvollziehbar. Soweit der Praxisvertreter als Angestellter angesehen würde, müsste er durch den Zulassungsausschuss genehmigt werden. Nach § 95 SGB V ist es unzulässig, ohne Zustimmung des Zulassungsausschusses einen Arzt in einer BAG zu beschäftigen. Ein Vertragsarzt kann Ärzte nur nach Maßgabe des § 95 Absatz 9 und 9a SGB V anstellen. Danach bedarf es für die Anstellung einer Genehmigung des Zulassungsausschusses, hierzu sind die Regelungen des § 32b Ärzte-ZV zu beachten.

Grundsätzlich davon zu unterscheiden ist die Tätigkeit als Vertreter für einen Vertragsarzt. Der Praxisinhaber ist als Vertragsarzt nach § 32 Absatz 1 Satz 1 Ärzte-ZV verpflichtet, die vertragsärztliche Tätigkeit auszuüben. Von daher darf die Praxisvertretung nach § 32 Absatz 1 Satz 2 Ärzte-ZV nur auf kurze Dauer angelegt sein. Bei einer länger als eine Woche andauernden Verhinderung des Praxisinhabers ist dies nach § 32 Absatz 1 Satz 4 Ärzte-ZV in Verbindung mit § 17 Absatz 3 Satz 1 BMV-Ä unter Benennung des Praxisvertreters der KV mitzuteilen. Ohne Genehmigung der KV kann sich der Praxisinhaber innerhalb von 12 Monaten nach § 17 Absatz 3 Satz 4 BMV-Ä nur bis zu einer Dauer von drei Monaten vertreten lassen. Der Praxisvertreter muss kein Vertragsarzt sein, aber muss nach § 32 Absatz 1 Satz 5 Ärzte-ZV die Voraussetzungen für die Eintragung ins Arztregister erfüllen und darf nach § 14 Absatz 1 Satz 2 BMV-Ä Leistungen, für die er die Qualifikationsvoraussetzungen nicht erfüllt, nicht erbringen. Wird die zulässige Dauer der kurzfristigen Vertretung überschritten, so bedarf die Tätigkeit des Praxisvertreters einer Einwilligung der KV, die nach § 32 Absatz 2 Satz 4 Ärzte-ZV im Vorhinein zu erteilen ist. Dann wird dem Praxisinhaber das Handeln beziehungsweise das Unterlassen des Praxisvertreters zugerechnet.

Soweit die DRV nun über 50 Jahre alte Urteile des BSG herauskramt, so müssen diese Urteile auch im Lichte der neuen Regelungen gesehen werden. Entsprechende Urteile können keine Gültigkeit mehr beanspruchen, soweit sie zu einer Zeit ergangen sind, als es die entsprechenden Regelungen noch nicht gab. Zudem wurde in der Entscheidung des BSG vom 15.12.1959 – 2 RU 141/56 die Rolle des Praxisvertreters zutreffend als freiberufliche Tätigkeit bewertet. Die Stellung eines Praxisvertreters entspricht der eines selbstverantwortlich handelnden Arztes, der in der ärztlichen Behandlung der Patienten frei ist und nicht der Überwachung oder Weisung des Praxisinhabers unterliegt. Der Selbstständigkeit eines Praxisvertreters steht nicht entgegen, dass dieser sich in die unter dem Namen des Praxisinhabers geführte Praxis einordnet. Auch das Abhalten der festgelegten Sprechstunden und die Nutzung der vorhandenen Hilfskräfte und Geräte sowie das Abrechnen im Namen und für Rechnung des Praxisinhabers gegenüber der KV spricht nicht gegen eine selbstständige Tätigkeit (BSG wie zuvor, Rdnr. 14).

Die ärztliche Tätigkeit des Praxisvertreters wird auch nicht durch die Anweisungen des Praxisinhabers eingeschränkt, in bestimmten medizinischen Fragestellungen die Behandlung einzustellen oder den kollegialen Rat anderer Mediziner einzuholen. Die Einholung von kollegialen Ratschlägen entspricht ärztlicher Gepflogenheit und ist kein Merkmal für eine abhängige Beschäftigung (BSG wie zuvor, Rdnr. 15).

Wesentlich für die Rolle des Praxisvertreters ist, dass dieser die gesamte Praxis in eigener Verantwortung führt. Dass der Praxisvertreter in der Regel verpflichtet ist, die Praxis wie gewohnt weiter zu führen und die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der KV einzuhalten, stellt eine vertragliche Pflicht dar, die kein Weisungsrecht des Praxisinhabers begründet. Die Tätigkeit des Praxisvertreters bleibt insoweit weiterhin selbstständig (vergleiche BSG wie zuvor, Rdnr. 14).

Die Auffassung der Rentenversicherung, wonach der Sachverhalt in einer BAG anders als in einer Einzelpraxis zu bewerten sei, ist nicht nachvollziehbar. Die Organisation einer Praxis als BAG im Sinne des § 33 Absatz 2 Ärzte-ZV ist lediglich eine Kooperation zwischen Vertragsärzten, die über die gemeinsame Nutzung von Praxisräumen und Praxiseinrichtung hinaus die vertragsärztliche Tätigkeit gemeinsam ausüben. Die Praxisvertretung erfolgt auch in einer BAG ausschließlich unter den Voraussetzungen des § 32 Absatz 1 Satz 1 Ärzte-ZV. Sie erfolgt nur für einen Vertragsarzt als Mitglied einer BAG und ist daher nicht anders zu bewerten als die Vertretung eines Vertragsarztes in einer Einzelpraxis.

Anders als ein angestellter Arzt trägt der Praxisvertreter die alleinige Verantwortung für die Behandlung der Patienten und die sachgemäße Fortführung der Praxis. Dieses gilt unabhängig davon, ob er einen niedergelassenen Arzt in Einzelpraxis oder eine BAG vertritt. Zudem unterliegt der Vertreter eines niedergelassenen Arztes nicht dem für ein Beschäftigungsverhältnis wesentlichen Direktionsrecht des Praxisinhabers. Er ist auch keinen Beschränkungen unterworfen, die über eine Verpflichtung zur Nutzung der Praxisräume und der Einhaltung der Sprechstunden hinausgehen (vgl. BSG vom 27.05.1955 – 3 RK 18/55 sowie 3 RK 46/57). Auf das Vorliegen eines unternehmerischen Risikos kommt es dabei nach Auffassung des BSG nicht an.

Der Niederlassungsbereich ist inzwischen auch hinsichtlich der Vertretungsmöglichkeiten durchreguliert. Soweit ein Arzt angestellt würde (auch kurzzeitig), ginge dies

  • im Rahmen eines Job-Sharing (mit der Folge einer Leistungsbegrenzung)
  • als Sicherstellungsassistent (wenn der Praxisinhaber aus bestimmten Gründen vorübergehend nicht in der Lage ist, seinem Versorgungsauftrag in vollem Umfang nachzukommen; die Genehmigung zur Anstellung muss zuvor bei der KV beantragt werden)
  • als Angestellter zum Zwecke der Praxisvertretung nach § 95 Absatz 9 SGB V (immer nur unter Beachtung der Bedarfsplanung, nur mit Leistungsbegrenzung im Rahmen des Job- Sharing möglich).

Durch die sehr differenzierten Vorgaben des Gesetzgebers für die Ausschreibung und Praxisübertragung sowie die Möglichkeit von Sitzteilung und anderen Flexibilisierungen sind die Zulassungsausschüsse stark ausgelastet, Anträge für eine Anstellung beinhalten mittlerweile eine Bearbeitungszeit zwischen 9 und 12 Monaten. Das würde bedeuten, dass eine kurzfristige Vertretung in der Praxis nicht mehr möglich ist, weil so kurzfristig der Zulassungsausschuss nicht entscheiden kann. Die Patientenversorgung bliebe dann auf der Strecke. Hierzu trägt die DRV bislang vor, diese Umstände könnten für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht relevant sein. Dieses trifft schon deshalb nicht zu, weil nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung eine isolierte Regulierung eines Sachverhalts systemfremd ist, Entscheidungen müssen sich stets in das Rechtsgefüge eingliedern. Auch die DRV ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts verpflichtet, andere maßgebliche Regelungen entsprechend Artikel 20 Absatz 3 GG zu beachten. Sie ist kein rechtsstaatlicher Monolith, sondern Teil eines Sozialversicherungsgefüges, bei dem die Wirksamkeit und Gültigkeit von Regelungen immer im Zusammenspiel mit anderen Regelungen des Sozialversicherungsrechts zu sehen sind.

So dürfen zum Beispiel Vertragsärzten nicht unmögliche Hürden abverlangt werden, wenn zum Beispiel ein wegen Krankheit ausgewählter Vertreter zunächst durch den Zulassungsausschuss zu genehmigen wäre und die Genehmigung in zeitlicher Hinsicht nicht erfolgen kann. Nach dem Grundsatz „ultra posse nemo obligatur (über das Können hinaus wird niemand verpflichtet, vgl. auch § 275 BGB) kann von einem Vertragsarzt eine entsprechende Handlung nicht verlangt werden, wenn diese objektiv unmöglich ist. Die Handlungsweise der DRV erinnert insoweit an die Ausnutzung staatlicher Machtbefugnisse, durch die jemandem unnötig Schwierigkeiten bereitet werden. Im deutschen Recht ist die Ausübung eines Rechts unzulässig, wenn dies lediglich den Zweck hat, einem anderen Schaden zuzufügen (Schikaneverbot § 226 BGB). Insoweit ist das Vorgehen der DRV in keinster Weise sachgerecht oder rechtmäßig.

Im Übrigen ist auch die Subsumtion der Stellung des Vertreters durch die DRV nicht nachvollziehbar. Das Risiko einer selbstständigen Tätigkeit ist beim Praxisvertreter auch in der Eigenverantwortlichkeit der Behandlung der Patienten zu sehen, für diese Tätigkeit hält er eine eigene Haftpflichtversicherung für die durchgeführte Tätigkeit vor. Auf das fremde Unternehmerrisiko kommt es hingegen nicht an und das Weisungsrecht gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern ist in dem Vertretungsvertrag einfach zu regeln. Schließlich ist nicht auch jeder selbstständige Pharmareferent oder Handwerker, der die Praxis oder die Räumlichkeiten kostenlos nutzt, in der Praxis abhängig beschäftigt.

Quelle:

  • Kanzlei für Medizinrecht
    Prof. Schlegel Hohmann Mangold und Partner Rechtsanwalt Jörg Hohmann (Autor)
    Paul-Nevermann-Platz 5
    22765 Hamburg
    www.gesundheitsrecht.com


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